I. Denkbare Anspruchsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz
Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) enthält im 12. Abschnitt (§§ 56 – 68) spezielle Regelungen, wonach Betroffene staatlicher Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (§§ 16, 17 IfSG) bzw. zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§§ 28, 32 IfSG) in besonderen Fällen Ansprüche auf Entschädigung geltend machen können. Eine Entschädigung soll insbesondere in solchen Fallkonstellationen gewährt werden, in denen sich seuchenhygienische Maßnahmen gegen Betroffene richten, von denen selbst keine Gefährdung ausgeht. Entschädigungsansprüche bestehen in den in §§ 56 ff. IfSG geregelten Konstellationen auch dann, wenn sich die behördlich angeordneten Maßnahmen als rechtmäßig erweisen.
Nach § 56 Abs. 5 IFSG können Arbeitgeber bei den jeweils zuständigen Behörden der Länder eine Entschädigung in Höhe des an die Arbeitnehmer/innen zu zahlenden Arbeitsentgelts für den Fall geltend machen, dass Arbeitnehmern/innen die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit untersagt wurde – entweder weil sie an COVID-19 erkrankt oder ansteckungsverdächtig sind. Der Arbeitgeber muss diesen Arbeitnehmern/innen für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen zwar weiter Arbeitsentgelt leisten, kann sich dieses aber wiederum von den zuständigen Behörden erstatten lassen. Nach Ablauf von sechs Wochen bemisst sich der Erstattungsbetrag nach der Höhe des Krankengeldes gemäß § 47 Abs. 1 SGB V, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherung maßgebende Grenze nicht übersteigt.
Zudem soll nach dem (wohl kurzfristig) in Kraft tretenden § 56 Abs. 1a IfSG bis zum 31.12.2020 auch der Verdienstausfall solcher Arbeitnehmer/innen erstattet werden, die infolge der angeordneten Schließung von Schulen und Kindergärten ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachkommen können, weil sie in der Betreuung ihrer Kinder gebunden sind. Sofern für diese Arbeitnehmer/innen eine andere zumutbare Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder nicht besteht, wird der Verdienstausfall eines erwerbstätigen Sorgeberechtigten in Höhe von 67 % erstattet, maximal aber ein monatlicher Betrag von 2.016,00 €. Ein entsprechender Gesetzentwurf zur Änderung des IfSG wurde am 25.03.2020 im Bundestag verabschiedet. Der Bundesrat wird heute (27.03.2020) hierüber abstimmen. Wir gehen davon aus, dass die Änderung anschließend sehr zeitnah in Kraft treten wird.
Ansprüche nach § 56 Abs. 1 IfSG auf Entschädigung des Verdienstausfalles können auch Selbständige geltend machen. Bei diesen beträgt der Verdienstausfall ein Zwölftel des durchschnittlichen Arbeitseinkommens aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit des letzten Jahres vor Einstellung der Tätigkeit (§ 56 Abs. 3 Satz 4 IfSG). Zudem können Selbständige, die an COVID-19 erkrankt sind oder für die Quarantäne im Sinne von § 30 IfSG angeordnet wurde, bei einer existenzgefährdenden Lage eine Entschädigung für ihre ungedeckten laufenden Betriebsausgaben beanspruchen, wenn sie infolge der Erkrankung bzw. Quarantäne ihren Betrieb bzw. ihre Praxis schließen mussten.
Anträge auf Erstattung gemäß § 56 Abs. 5 IfSG sind innerhalb von drei Monaten ab der Einstellung der Tätigkeit bei der zuständigen Behörde (in Baden-Württemberg sind dies nach § 1 Abs. 4 IfSGZustV die Gesundheitsämter) einzureichen (§ 56 Abs. 11 IfSG).
Nicht von § 56 IfSG gedeckt sind hingegen Ansprüche aufgrund allgemeiner Schließungsanordnungen, die nicht im Zusammenhang mit einer Corona-Erkrankung oder eines Corona-Verdachts von Arbeitnehmern/innen stehen. Eine auf § 28 IfSG gestützte Allgemeinverfügung bzw. eine auf § 32 IfSG gestützte Rechtsverordnung, wonach bestimmte Einrichtungen vorübergehend nicht mehr betrieben werden dürfen bzw. ein Kontaktverbot angeordnet wurde, begründet daher keine Ansprüche der von solchen Maßnahmen betroffenen Unternehmen nach § 56 IfSG.
Entschädigungsansprüche bei behördlichen Maßnahmen sieht auch § 65 Abs. 1 IfSG vor. Danach erhält ein Betroffener eine Entschädigung, wenn auf Grund einer Maßnahme nach §§ 16, 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird.
In Betracht kommt hier allenfalls die letzte Alternative ("oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil"), die 1971 in das damalige Bundesseuchengesetz als "Auffangtatbestand" aufgenommen wurde, "um mögliche Lücken zu schließen" (BT-Drucks. IV/1568, Seite 10). Über die Leistung einer Entschädigung nach § 65 IfSG entscheidet die nach Landesrecht zuständige Behörde. In Baden-Württemberg ist dies nach § 1 Abs. 1 IfSGZustV das örtlich zuständige Regierungspräsidium.
Die Reichweite des § 65 Abs. 1 IfSG ist nicht eindeutig. Rechtsprechung und Literatur gibt es hierzu nicht bzw. kaum. Es sprechen allerdings zahlreiche Gründe gegen eine Anwendbarkeit im konkreten Fall:
- Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Gesetzgeber bei Aufnahme dieser gesetzlichen Regelung in § 65 Abs. 1 IfSG einen unbegrenzten Entschädigungsanspruch für breitflächige und lang andauernde Betriebsschließungen begründen wollte. Ein solcher Entschädigungsanspruch würde sich auch nicht in das System des Entschädigungsrechts einfügen, das auf "punktuelle" Schadenslagen ausgerichtet ist (so schon Cornils, Verfassungsblog "Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet"; abrufbar unter https://verfassungsblog. de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet).
- § 65 IfSG knüpft zudem ausdrücklich an Maßnahmen nach §§ 16, 17 IfSG an, also an Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Sämtliche von den Ländern bislang verfügten Maßnahmen stützen sich hingegen – soweit ersichtlich – ausschließlich auf §§ 28, 32 IfSG und bezwecken die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Beide Ausgangsregelungen (§ 16 IfSG und § 28 IfSG) stehen im Verhältnis der Exklusivität (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 03.02.2011 – 13 LC 198/08, Rdnr. 40 bei juris). Der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 IfSG ist nach der Rechtsprechung nur eröffnet, solange eine übertragbare Krankheit noch nicht aufgetreten ist (BVerwG, Urteil vom 16.12.1971 – I C 60/67, Rdnr. 28 bei juris [zur Vorgängerregelung im BSeuchG]). Ist eine übertragbare Krankheit allerdings schon aufgetreten (was bei COVID-19 der Fall ist), richten sich seuchenhygienische Maßnahmen ausschließlich nach §§ 28 ff. IfSG. Für solche Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten sieht der Gesetzgeber lediglich Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG vor, da sich in der Phase der "Bekämpfung übertragbarer Krankheiten" die staatliche Schutzpflicht zum Erlass wirksamer Eindämmungsmaßnahmen verdichtet, so dass Betroffene im Gegenzug verpflichtet sind, entsprechende Schutzmaßnahmen – und die damit verbundenen Grundrechtseingriffe – im Gemeinwohlinteresse zu dulden.
II. Entschädigungsansprüche unter Aufopferungsgesichtspunkten?
Denkbar wären somit allenfalls – außerhalb der Regelungen des IfSG – Entschädigungsansprüche auf der Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze (z.B. enteignender Eingriff, Aufopferung). Hierzu hat der Gesetzgeber in den Materialien zum IfSG (BR-Drucks. 566/99, Seite 199) jedoch explizit ausgeführt, dass die Entschädigungsregelungen des 12. Abschnitts des IfSG
"umfassend den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Aufopferungsanspruch [ersetzen], dem damit insoweit keine lückenschließende Funktion mehr zukommt. Weitergehende Ansprüche aus Amtshaftung bleiben unberührt."
Ein Rückgriff auf das Rechtsinstitut des allgemeinen Aufopferungsanspruchs bzw. auf Ansprüche aus enteignendem Eingriff ist demnach nicht möglich.
Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen wollte, wäre zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für entsprechende Entschädigungsansprüche gegeben sein könnten. Denn die wirtschaftlichen Auswirkungen der auf §§ 28, 32 IfSG gestützten Maßnahmen stellen wohl keine atypische, nicht vorhersehbare Folge des staatlichen Handelns (z.B. Betriebsschließung) dar und sind damit im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums – die Rechtmäßigkeit der Maßnahme unterstellt – grundsätzlich hinzunehmen.
Schließlich wird es regelmäßig auch an einem sog. "Sonderopfer" einzelner Betriebe fehlen: Ein solches ist nur dann anzunehmen, wenn einem Betroffenen im Vergleich zu anderen Betroffenen eine deutlich stärkere, die allgemeine Opfergrenze überschreitende Belastung zugemutet wird, als anderen
Betroffenen ("situative Bestimmung der Opfergrenze") – selbst wenn die angeordneten Maßnahmen (Betriebsschließungen, Kontaktverbote) für viele Unternehmen existenzgefährdende bzw. –bedrohende Auswirkungen haben dürften.
III. Staatshaftung bei rechtswidrigem Verhalten der Landesregierungen?
Nicht von den Regelungen des IfSG verdrängt werden Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüche nach den Regelungen des allgemeinen Staatshaftungsrechts. Allerdings ist – nach derzeitiger Einschätzung – davon auszugehen, dass den Mitgliedsunternehmen des BVDA solche Ansprüche
nicht zustehen werden.
Zum einen fehlt es bereits an einem staatlichen Eingriff, der kausal ist für die Umsatzeinbußen bei den Mitgliedsunternehmen. Die angeordneten Maßnahmen der Länder – z.B. die Schließung von Einrichtungen sowie Beschränkungen der Freizügigkeit (Kontaktsperre) – betreffen die Tätigkeit der BVDA-Mitgliedsunternehmen nicht unmittelbar. Die Umsatzeinbußen könnten allenfalls – wenn überhaupt – mittelbar mit solchen Maßnahmen verbunden werden. In erster Linie lassen sie sich wohl auf das "Rückfahren" sämtlicher nicht existenzieller Ausgaben im Bereich des Unternehmensmarketing bei (potenziellen) Werbungschaltenden zurückführen.
Zudem ist davon auszugehen, dass die derzeit angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausweitung des Coronavirus rechtmäßig sind.
Nach § 28 Abs. 1 IfSG sind die zuständigen Behörden verpflichtet, die zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten notwendigen Maßnahmen zu treffen. Insofern steht ihnen kein Ermessen zu, ob sie tätig werden oder nicht. Allerdings verfügen sie nach § 32 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG über einen recht großen Prognosespielraum bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG tatsächlich vorliegen. Welche Anforderungen an die zur Verfügung stehende Tatsachenbasis und an den Wahrscheinlichkeitsgrad etwaiger Prognosen im Rahmen des Tatbestands des § 28 Abs. 1 IfSG zu stellen sind, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden. Da das Infektionsschutzgesetz von seinem Sinn und Zweck im Bereich der Gefahrenabwehr zu verorten ist, dürften insofern aber keine allzu hohen Voraussetzungen anzunehmen sein. Angesichts der Empfehlungen der Experten (z.B. des Robert Koch-Instituts), des hohen Infektionspotenzials im vorliegenden Fall und dem hohen Schutzgut der Gesundheit und des Lebens von Menschen, die sich mit dem Coronavirus infizieren könnten, sehen wir derzeit nicht, dass sich die Länder außerhalb ihres Prognosespielraums bewegen, wenn sie entsprechende Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie anordnen. Dies gilt nach unserer Einschätzung zumindest für die (temporäre) Schließung von Schulen und Einzelhandelsbetrieben, bei Kontaktverboten mag man dies anders sehen können. Je größer und folgenschwerer möglicherweise eintretende Schäden sind, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 16.11, Rdnr. 32 bei juris). Daher dürfte ein gefahrbegründender Zusammenhang zwischen den durch die Verordnungen der Länder untersagten Menschenansammlungen und konkreten Krankheitsfällen durchaus anzunehmen sein.
Zudem erscheinen uns die angeordneten Maßnahmen auch verhältnismäßig zu sein, da sie nicht über das hinausgehen, was zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erforderlich ist. Auch diesbezüglich verfügt der Verordnungsgeber über einen weiten Beurteilungsspielraum. Wir sehen aktuell nicht, dass der Verordnungsgeber gehalten wäre, sich auf den Erlass weniger eingreifender Maßnahmen zu beschränken, zumal die Länder schrittweise vorgegangen sind und weniger einschneidende Maßnahmen in der Vergangenheit nicht in gleicher Weise geeignet waren, die rasche Ausweitung von COVID-19 in der Bevölkerung zu verlangsamen.
Die ersten hierzu ergangenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte (zur Schließung von Einzelhandelsbetrieben: VG München, Beschlüsse vom 20.03.2020 – M 26 E. 20.1209 und M 26 S 20.1222; zur Schließung von Vergnügungsstätten: VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.03.2020 – 7 L
575/20; zu Schulschließungen: VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 – B 7 S 20.223; zu Veranstaltungsverboten: VG Stuttgart, Beschluss vom 14.03.2020 – 16 K 1466/20) bestätigen diese Einschätzung: Die Gerichte räumen den zuständigen Behörden bei der Entscheidung, welche Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus notwendig sind, einen weiten Prognosespielraum ein und erkennen die Gefahren, die von dem Coronavirus für die Allgemeinheit ausgehen, als sehr gewichtig an.
Wir müssen deshalb derzeit davon ausgehen, dass die angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus grundsätzlich für rechtmäßig erachtet werden. Da sich die Bewertung jedoch aufgrund neu eintretender Entwicklungen kurzfristig ändern kann, wäre diese Einschätzung regelmäßig zu überprüfen.
Zudem kommt hinzu, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof bei Erlass einer rechtswidrigen Rechtsverordnung grundsätzlich nicht von einer Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht auszugehen ist, die jedoch Voraussetzung für das Bestehen von Amtshaftungsansprüchen wäre (vgl. BGHZ 56, 40 [46]; 87, 321 [335]).
Letztlich können Staatshaftungsansprüche auch nur von demjenigen geltend gemacht werden, der gegen die (rechtswidrigen) Maßnahmen der Behörden gerichtlich vorgegangen ist. Es gilt der sog. Grundsatz des Vorrangs des Primärrechtsschutzes, d.h. es kann sich derjenige nicht auf eine Schadenersatz- bzw. Entschädigungspflicht des Staates berufen, der es vorsätzlich oder fahrlässig versäumt hat, den Schadenseintritt durch Rechtsbehelfe gegen die eingreifenden Maßnahmen zu verhindern. Der Betroffene hat kein Wahlrecht, ob er gegen die in seine Rechte eingreifende Maßnahme vorgeht oder sich für den hierdurch erlittenen Vermögensnachteil entschädigen lässt. Für Amtshaftungsansprüche ist dies in § 839 Abs. 3 BGB auch gesetzlich geregelt. Möchte sich ein Unternehmen vorbehalten, später entsprechende Ansprüche gegen das Land geltend zu machen, müsste es demnach alles in seiner Macht stehende unternehmen, um Vermögenseinbußen infolge Corona-bedingter Anordnungen der Länder zu vermeiden.
Dies setzt grundsätzlich auch voraus, dass von den Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes (also § 80 Abs. 5 VwGO bzw. § 47 Abs. 6 VwGO) Gebrauch gemacht wird. Auch die Verteidigungsmittel des vorläufigen Rechtsschutzes zählen als Rechtsbehelfe, die von einem Betroffenen zu ergreifen sind, um eine Beseitigung oder Abwendung von Schäden herbeizuführen (vgl. Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 839 Rdnr. 113 m.w.N.).
Der Nichtgebrauch von Rechtsbehelfen kann einem Betroffenen nur dann nicht entgegengehalten werden, wenn davon auszugehen ist, dass der Betroffene nicht wesentlich schneller zum Ziel gekommen wäre, wenn er von dem Rechtsbehelf Gebrauch gemacht hätte (Reinert, in: BeckOK-BGB, 53. Edition, Stand: 01.02.2020, § 839 Rdnr. 116 unter Verweis auf BGHZ 128, 346 [357]). Insofern könnte in der aktuellen Situation argumentiert werden, dass bei staatlichen Notmaßnahmen, die unweigerlich zu Umsatzeinbußen führen und das öffentliche Leben weitgehend beeinträchtigen, nicht angenommen werden kann, dass ein betroffenes Unternehmen durch Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schneller zu seinem Ziel kommen würde. Dies gilt insbesondere dann, wenn davon auszugehen ist, dass sich das schadensverursachende Ereignis erledigt, bevor die Gerichte über einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entscheiden werden. Allerdings besteht insofern ein Restrisiko. Wirkliche Sicherheit, dass etwaige Ansprüche aufgrund rechtswidrigen Verhaltens des Staates nicht verloren gehen, haben Unternehmen allerdings nur, wenn sie gegen die entsprechenden Maßnahmen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen, sprich auch von den Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes Gebrauch machen.
IV. Einschätzung zu möglichen Änderungen der Entschädigungsregelungen des IfSG
Nach unserer Einschätzung ist es fraglich, ob der Gesetzgeber aufgrund der ersten Erfahrungen während der Corona-Pandemie die Entschädigungsregelungen des IfSG zeitnah überarbeiten wird. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der §§ 56, 65 IfSG – die dann auch über die aktuelle Corona-Pandemie hinaus Gültigkeit hätte – ist nach unserem Dafürhalten eher unwahrscheinlich.
Hierfür spricht zum einen der Umstand, dass sich der Bundesgesetzgeber im Zusammenhang mit der am 25.03.2020 im Bundestag verabschiedeten Änderung des IfSG mit einer Ausweitung der Entschädigungsregelungen des 12. Abschnitts – mit Ausnahme der Neuregelung in § 56 Abs. 1a IfSG – nicht befasst hat. Hätte er die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie über eine Ausweitung der Entschädigungsregelungen des IfSG angehen wollen, hätte er hierzu die Möglichkeit gehabt. Dass er von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht und sich auf das Einfügen von § 56 Abs. 1a IfSG beschränkt hat, lässt es als naheliegend erscheinen, dass eine weitere Änderung der speziellen Entschädigungsregelungen des IfSG auch in absehbarer Zukunft nicht beabsichtigt ist.
Zum anderen haben Bund und Länder in einem sehr großen Volumen finanzielle Mittel bereitgestellt, um die deutsche Wirtschaft bei der Verarbeitung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu unterstützen, sei es über staatliche Kredite oder über Liquiditätszuschüsse, wie dies der Bund und einzelne Länder auch schon kurzfristig veranlasst haben. Wir gehen deshalb davon aus, dass Bund und Länder mit staatlichen Unterstützungsleistungen in Not geratene Unternehmen gezielt unterstützen möchten. Dieser eingeschlagene Weg wäre mit einer pauschalen, nur schwer steuerbaren Unterstützung durch Entschädigungsleistungen nach dem IfSG grundsätzlich inkompatibel.
Davon unabhängig wäre die Einrichtung eines staatlichen Entschädigungsfonds von Bund und Länder für in Not geratene Unternehmen. Dieser würde jedoch seine Rechtsgrundlage nicht im IfSG finden, sondern unterläge dem allgemeinen Haushaltsrecht sowie beihilferechtlichen Vorgaben und würde letztlich die aktuell schon vorgesehenen Liquiditätszuschüsse ergänzen. Ob der Bund oder die Länder solche weitergehenden Direktleistungen an Unternehmen planen, können wir allerdings nicht beurteilen.
V. Fazit
Mitgliedsunternehmen des BVDA dürften Entschädigungsansprüche nach den Spezialregelungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) nur in den in § 56 IfSG im Einzelnen geregelten Konstellationen zustehen. Diese beschränken sich allerdings auf die Erstattung des Arbeitsentgelts, das für an COVID-19 erkrankte bzw. –infektiöse Arbeitnehmer/innen zu zahlen ist, die ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachkommen können bzw. das an Arbeitnehmer/innen zu leisten ist, die aufgrund der Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zu Hause gebunden sind.
Darüber hinaus sehen die Regelungen des IfSG keine pauschalen Entschädigungsansprüche von in Not geratenen Unternehmen im Falle einer Pandemie vor. Auch außerhalb der speziellen Entschädigungsregelungen sehen wir derzeit keinen Ansatz für Entschädigungsansprüche von BVDA-Mitgliedsunternehmen – weder unter dem Gesichtspunkt des Staatshaftungsrechts noch über das Rechtsinstitut des Aufopferungsanspruchs.
Finanzielle staatliche Unterstützung können BVDA-Mitgliedsunternehmen lediglich unter Inanspruchnahme der Corona-Förderprogramme in Form von Darlehen oder (nicht rückzahlbaren) Liquiditätszuschüssen des Bundes und der Länder erhalten.
Quelle: RA Dr. Torsten Gerhard (Oppenländer Rechtsanwälte)
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